Fahrzeugführer muss gerade innerorts mit plötzlich auftauchenden Hindernissen rechnen

LG Kempten, Urteil vom 07.09.2010 – 33 O 853/10

Ein Fahrzeugführer hat die Geschwindigkeit so einzurichten, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht, vgl. § 3 StVO. Ein Fahrzeugführer muss auch und gerade innerorts mit plötzlich auftauchenden Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen und seine Geschwindigkeit darauf einstellen (Rn. 31).

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


Tatbestand

1

Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

2

Der Kläger ist Eigentümer und Halter des PKW VW Passat Variant GL, amtliches Kennzeichen …. Am Mittwoch, den 27.05.2009 gegen 11.50 Uhr fuhr die Ehefrau des Klägers, die Zeugin G, mit dessen PKW VW Passat auf der S Straße in … L statteinwärts.

3

Aufgrund einer Ölspur befand sich kurz nach der von rechts einmündenden, unterberechtigten Seitenstraße, der Astraße, ein Metallständer, an dem die ursprünglich vorhandenen Warnschilder „VZ 114 Schleudergefahr“ sowie Zusatzschild „Ölspur“ nicht mehr befestigt waren.

4

Der genaue Standort des Ständers ist umstritten.

5

Die Zeugin G kollidierte mit dem Fahrzeug des Klägers mit diesem Metallständer, wobei auch dieser Ablauf umstritten ist.

6

Am PKW entstand hierdurch Sachschaden in Höhe von 500,– Euro, die Kosten für das Gutachten des Sachverständigen betrugen 140,60 Euro.

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Der Kläger trägt im Wesentlichen vor:

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Für die Zeugin G sei der Unfall ein unabwendbares Ereignis gewesen. Der Metallständer habe sich ohne Schilder auf der rechten Fahrbahnhälfte befunden. Nachdem kurz vor dem Unfall aus der unterberechtigten Astraße ein LKW Transporter in die S Straße nach links eingebogen sei, sei die Sicht für die Zeugin G behindert gewesen. Trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung sei daher die Kollision nicht zu vermeiden gewesen. Die Beklagte habe angesichts der mangelnden Überprüfung der Warnschilder ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Es sei weiter ein Nutzungsentgelt in Höhe von 602,– Euro, An- und Abmeldekosten von 70,– Euro sowie unfallbedingter Mehraufwand von 26,– Euro zu leisten.

9

Der Kläger beantragt daher zuletzt:

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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 1.338,60 nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz hieraus seit dem 02.07.2009 zu bezahlen.

11

Der Beklagte beantragt:

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Die Klage wird abgewiesen.

13

Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor:

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Der Metallständer sei aufgrund einer Ölspur zunächst samt Warnschild „VZ 114“ sowie Zusatzschild „Ölspur“ auf dem Gehweg aufgestellt worden. Desweiteren sei zuvor ein weiterer Metallständer mit den gleichen Schildern in Fahrtrichtung der Zeugin G ca. 200 m entfernt vom Unfallort aufgestellt gewesen. Schließlich sei noch vor 8.00 Uhr am Unfalltag eine Kontrolle des entsprechenden Metallständers erfolgt, so dass der Beklagte seiner Verkehrssicherungspflicht vollumfänglich nachgekommen sei. Für ein etwaiges unberechtigtes Eingreifen Dritter sei der Beklagte nicht verantwortlich.

15

Hinsichtlich des weiteren Parteivortrages wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.

16

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der Zeugen G, S, M und K. Hinsichtlich des Inhalts der Aussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2010 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet.

18

Selbst wenn man den klägerseits geschilderten Unfallhergang unterstellt, ist eine Verkehrssicherungspflichtverletzung seitens des Beklagten nicht ersichtlich, § 823 I BGB.

19

Dabei ist auch zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Es geht vielmehr um die Risikoverteilung zwischen dem Sicherungspflichtigen und der gefährdeten Partei, das heißt darum, welche Sicherheit diese Person in der jeweiligen Situation erwarten darf und mit welchen Risiken sie rechnen muss und welche ihr abgenommen werden müssen.

20

Der Verkehrssicherungspflichtige muss deshalb nicht für alle denkbaren entfernten Möglichkeiten des Schadensereignisses Vorsorge treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen des Falles zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind.

21

Die Verkehrsteilnehmer sind vor den Gefahren zu schützen, die für sie auch bei der im Straßenverkehr gebotenen Aufmerksamkeit nicht erkennbar sind und auf die sie sich nicht einstellen können.

22

Diese Pflichten hat der Beklagte erfüllt.

23

Die Zeugen M und S haben überzeugend ausgeführt, dass noch vor 8.00 Uhr am Unfalltag eine Kontrolle des streitgegenständlichen Metallständers erfolgt ist. Beide Zeugen haben übereinstimmend geschildert, dass ein bei der Straßenmeisterei beschäftigter Mitarbeiter morgens auf der Fahrt zur Arbeit ein Umstürzen des an der B 308 aufgestellten Metallständers gemeldet habe. Daraufhin sei auch eine Kontrolle des hier streitgegenständlichen Metallständers erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei dieser unbeschädigt samt angebrachter Verkehrszeichen auf dem Gehweg gestanden. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesen überzeugenden Angaben der Zeugen S und M zu zweifeln.

24

Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist daher für das Gericht nicht erkennbar.

25

Die Zeugen S und M haben die ursprünglich ordnungsgemäße Absicherung der Gefahrenstelle überzeugend dargelegt. Insbesondere war der Metallständer mit einem Betonklotz beschwert und zweifach beschildert. Darüberhinaus war der Ständer auf dem Gehweg angebracht.

26

Noch am Unfalltag erfolgte zwischen 7.15 Uhr und 8.00 Uhr eine Kontrolle des streitgegenständlichen Metallständers. Unabhängig vom üblichen Kontrollabstand ist jedenfalls im vorliegenden Fall eine zeitnahe Überprüfung erfolgt.

27

Bei der Frage, ob eine weitere, gegebenenfalls stündliche Überprüfung erforderlich gewesen wäre, ist zu beachten, dass die Maßnahmen zur Vermeidung oder Abwendung der Gefahr dem Verkehrssicherungspflichtigen auch wirtschaftlich zumutbar sein müssen. Je größer die Wahrscheinlichkeit der Schädigung ist und je schwerer der drohende Schaden, desto höher ist das Maß des Erforderlichen und Zumutbaren. Im Ergebnis ist hierbei eine Gesamtabwägung aller Gesichtspunkte vorzunehmen.

28

Dies ergibt im vorliegenden Fall eine ausreichende Kontrolle durch den Beklagten. Der Beklagte hat in einem Abstand von ca. 200 m vor der Unfallstelle ein weiteres Warnschild aufgestellt, welches unstreitig auch zum Unfallzeitpunkt dort noch vorhanden war. Die Verkehrsteilnehmer waren somit vor einer dort befindlichen Ölspur gewarnt. Dabei muss aber der Verkehrsteilnehmer auch gewärtig sein, dass sich angesichts der offenbar vorhandenen Gefahrenstelle noch weitere Warnschilder dort befinden, welche unter Umständen auch auf der Straße platziert sein können.

29

Angesichts dieser Gesamtsituation war eine weitere Überprüfung dem Beklagten nicht zumutbar und angesichts der Gesamtumstände auch nicht erforderlich.

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Letztlich kann dies jedoch dahin stehen, da hier in jedem Fall ein überwiegendes Mitverschulden der Zeugin G, welches die Betriebsgefahr erhöht, gegeben ist. Dabei ist zum Einen zu beachten, dass sich der Unfall nicht als unabwendbares Ereignis darstellt, die Klagepartei ist insoweit beweisfällig geblieben. Nach Aussage der Zeugin G hat sie nach dem Abbiegen des LKW eine sofortige Vollbremsung eingeleitet.

31

Ein Idealfahrer hätte seine Geschwindigkeit jedoch den Sichtverhältnissen, welche nach Aussage der Zeugin G durch den abbiegenden LKW behindert wurden, angepasst. Darüberhinaus hat ein Fahrzeugführer die Geschwindigkeit so einzurichten, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht, vgl. § 3 StVO. Dies ist hier nicht erfolgt. Ein Fahrzeugführer muss auch mit plötzlich auftauchenden Hindernissen auf der Fahrbahn rechnen und seine Geschwindigkeit darauf einstellen. Gerade innerorts ist auch mit Fußgängerverkehr zu rechnen. Insoweit hätte die Klagepartei in jedem Fall mit plötzlich auftauchenden Hindernissen rechnen müssen, zumal das Vorhandensein einer Gefahrenstelle bereits ca. 200 m zuvor angezeigt wurde.

32

Schließlich muss der Beklagte nicht dafür einstehen, dass Dritte pflichtwidrig Sicherungseinrichtungen im Straßenverkehr umstellen und damit gefährdend in den Straßenverkehr eingreifen. Zwar ist es die Pflicht des Beklagten, seine Sicherungseinrichtungen gegen Witterungseinflüsse, insbesondere Sturmschäden zu schützen und nach derartigen Naturereignissen schnellstmögliche Kontrollen durchzuführen. Dies ist hier jedoch erfolgt. Mit unberechtigtem Eingreifen Dritter musste der Beklagte jedoch nicht rechnen, zumal sich hierfür keinerlei Ansatzpunkte ergaben.

33

Die Klage ist daher bereits dem Grunde nach abzuweisen.

34

Kostenentscheidung: § 91 ZPO

35

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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